Thonet Splitter

THONET SPLITTER

Als Idee, Sonderbares zum Thema Thonet oder Bugholz einmal gebündelt aufzuzeigen, haben wir diese Seite für Sie zusammengestellt. Wir schildern hier insbesondere Einzelschicksale von Möbeln, die abgesägt, umgebaut, umfunktioniert oder in anderer Form von ihren Besitzern verunstaltet worden sind.

Von Heinz Kähne und Dieter Staedeli

Die Gemütslagen von Bugholzmöbel-Sammlern sind mitunter extrem ambivalent: Himmelhoch-jauchzend, wenn man (für möglichst wenig Geld) auf dem Flohmarkt oder gar beim Sperrmüll ein rares Objekt findet, mit dem man eine Sammellücke der eigenen Kollektion zu schliessen vermag oder aber voller aggressiver Wut, wenn bei der Demontage dann die Schrauben sich auch nach mehrstündigem Bemühen nicht lösen lassen oder gar abbrechen. In diesem Fall gibt das Titelbild von Heidi Rehns Roman „Thonets Gesellen“ sehr treffend zum Ausdruck, was den Sammler innerlich bewegt. Und was vielleicht gar nicht mehr so sehr überrascht ist die Tatsache, dass man gelegentlich wirklich Bugholzmöbel findet, die ganz offensichtlich Opfer solcher Wutattacken geworden sind.

Oder wie sonst ist es zu verstehen, dass ein Original-Thonet-Stuhl derart mit Nägeln traktiert worden ist?


.......oder gar gesteinigt? Bei diesem Exemplar wurden Steinchen um Steinchen -säuberlich aneinander-gereiht- aufgeleimt.


Aber auch in den Fabriken der etablierten Firmen hat es bei der Herstellung von Bugholz immer schon heftig geknackt. Nicht alle Biegeversuche konnten mit Erfolg abgeschlossen werden. Einige geborstene Teile reparierte man gleich werkseitig, weitere Bruchstücke fanden bei anderen Modellen noch Verwendung. Restverwertung.

Wir zeigen hier einerseits Bilder von Bugholzmöbeln, die nicht in der gängigen Literatur zu finden sind und Möbel, die wohl schon werkseitig als sonderbare Kreationen die etablierten Bugholzfabriken verlassen mussten. Ob Restverwertung, unexakte Arbeit oder erfolglose Biegeversuche, die meisten dieser "Kreaturen" würden es wohl kaum auf eine Postkarte bringen.

Experten sind sich heute einig: am schlimmsten für die Bugholzmöbel ist es, nicht beachtet zu werden.

Und so kommt es, wenn ein altes Paar plötzlich nicht mehr beachtet wird (Im Bild Monsieur W. Baumann und Madame Kohn). Er: knirscht mit den Zähnen und wäffelt ständig herum, Sie: frisch geschminkt, versucht dennoch sich gütig anzulehnen. Ein hübsches Paar!


Wenn der Mensch auf die Schnelle seinen Stuhl wieder repariert haben möchte, macht bekanntlich Not schnell erfinderisch. Er (meist der Mann im Auftrag der Frau) steigt dann in den Keller und beginnt fleissig zu werkeln. Von Links nach rechts: Zwei Schrauben sind schon gebrochen? Macht nichts, ich drehe eine dritte mitten hinein. Keine Holzschraube weit und breit? Ah, aber am Mofa hats überflüssige 6-Kantschrauben, hurra so eine nehmen wir! Leim alle? Pah, eine feine Schraube mit Unterlagsscheibe (vom Bücherregal, die Frau weiss nichts davon) tut's auch und hält den Bügel doch bestens wieder zusammen.


Manches Objekt, dass auf den ersten Blick wie ein Sondermodell oder eine Variante zu den etablierten Modellen anmutet, entpuppt sich allerdings bei genauerem Hinsehen als Ergebnis barbarischer Restaurierungs-Eingriffe. Bei diesem mit Kannelierung ausgeführten Thonet-Modell Nr. 51 wurde in das Rechteck der Rückenlehne eine Nut eingefräst und ein Fertiggeflecht eingeleimt. Die Nut wurde dann wieder mit einem Rundpeddigrohrstab verschlossen. Modell Nr. 51 ist ein rares, gesuchtes und damit auch wertvolles Sammlerobjekt. Für diesen Akt der stuhlischen Grausamkeit gebührt dem Rückengeflecht-Einleim-Möchtegern-Restaurator ein Steh-Platz in der Thonet-Hölle. Das Thonet-Modell Nr. 51 hatte nie ein Rückengeflecht.


Ein echter Splitter! Hier an einem Stuhl der Firma Stoll  (D-Waldshut, ca. 1890). Wie diese totale Deformierung zustande gekommen war, wussten auch die heutigen Besitzer nicht. Vielleicht hat sich der einstige Besitzer das Motto Thonets "auf Biegen oder Brechen" zu sehr zu Herzen genommen. Doch damit nicht genug. Um sich die Mühe und das Geld für das Sitzgeflecht zu ersparen, wird das (übliche) Sperrholz-Brett aufgeleimt und dem Stuhl gleich mittels 4 fetten Schlossschrauben beim Fussreif auch wieder die absolut nötige Stabilität verliehen, bravo!   


Das Thonet Schaukelstuhl-Modell Nr. 62 zeichnet sich durch ein besonders fragiles Rückelement aus. Die sich kreuzenden Stäbe sind extrem dünn und so waren zahlreiche Brüche schon konstruktionstechnisch bedingt. Aber wegen eines solchen Bruches der Stäbe muss man ja nicht gleich das gesamte Möbel zu Kleinholz verarbeiten! Kreative Lösungen sind gefragt. Warum die Firma Thonet jedoch nicht gleich auf die stabile, lineare und einfache Konstruktion wie bei nebenstehendem Objekt gekommen ist, wird weiterhin ein Rätsel bleiben.


Es lebe das Bugholzmöbel! Klar - das Bugholzmöbel lebt. Und was lebt, das bewegt sich. Mitunter führen solche Bewegungen geradewegs zur Selbstzerstörung. Der hier abgebildete Thonet Schaukelstuhl Nr. 62 hat offensichtlich ein SEHR bewegtes Leben geführt und ist dabei ein wenig aus der Spur geraten.


Endlich hatte es ein etwas heruntergekommener Thonetstuhl mit der eher unspektakulären Nummer 59 geschafft, in der guten Stube zum Prinzen zu avancieren. Das Gewand mit dem goldenen Bande war freudig und entschlossen geschneidert worden. Bei der Anprobe jedoch stellte sich heraus, dass vergessen worden war, an den Ohren des Prinzen Mass zu nehmen. Und so schnitt man diese kurzerhand ab, steckte den traurigen Prinzen rasch in sein neues Gewand und alles ward gut. Und wenn er nicht gestorben ist... dann steht er heute noch als nicht gerade gutgelungenes Erstling-Restaurierwerk bei Staedeli herum.


"Herr Stuhldoktor - ich sehe übel aus," keuchte das Thonet-Modell Nr. 15. "Ist da noch was zu machen?". Der Stuhldoktor schaute lange und intensiv. Er prüfte und untersuchte. Und schließlich entschloss er sich zu einer schönheits-chirurgischen Totaloperation. Diese Operation dauerte mehrere Wochen lang. Immerhin mussten 7 Brüche, etliche Deformierungen, punktueller Holzsubstanzverlust, drei Schraubencracks und zwei Geflechtskollapse nachhaltig behandelt werden. Hinzu kam eine porentiefe Oberhautbehandlung mit anschliessender Schellackmassage. Patient Nr.15 war jedoch ein geduldiger Patient. Das Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen und so konnte der Stuhldoktor seinen Patienten mit den Worten: "Wir sehen uns in fünfzig Jahren wieder," entlassen.


Die Bugholzfirmen lieferten ihre Möbel mit bearbeiteter Oberfläche aus. Wahlweise konnte man das aus Buchenholz gefertigte Möbel beispielsweise mit nussbaum-,  mahagoni-, palisander- oder naturfarben polierter Oberfläche erwerben. Auch schwarze, vereinzelt auch moosgrüne und rote Möbel (gegen Aufpreis) wurden angeboten. Wahrscheinlich war die Farbenpalette einigen späteren Besitzern nicht umfangreich genug und so findet man heute auch blau, gelb oder weiss lackierte Möbel. Und manche Möbel sind unter einer solch dicken Lackschicht versteckt, als hätte der Anstreicher sie für die Ewigkeit konservieren wollen (Im Bild: seltenes Modell, Thonetsessel Nr. 7).


Was für die Firma Thonet in den 20er Jahren zur Fertigung ihrer Stühle gut und schnell ging, zeigt sich heute für den Restaurator als ein absolutes Ärgernis und würde es den Restaurator nicht täglich fröhlich stimmen, die faszinierende Geschichte Thonets tiefer auf seine Platte einzubrennen, flöge so ein Stuhl schnell einmal in hohem Bogen durch das geschlossene Werkstattfenster. Es handelt sich um die Thonetsche Vorderbeinverschraubung der 20er Jahre! Genauer gesagt um diese einzelne Schraube in der Mitte, welche das Vorderbein hält. Schraube? Nein! Das ist klar ein Fake! Ein Blindgänger! Ein Kuckucks-Ei! Was da als niedlicher Schraubenkopf blinkt ist in Wirklichkeit eine Ankerschraube mit schwacher Gewindung und offenbar nur zur Optik, jedenfalls nicht zum ansetzen des Schraubendrehers. Da ist abrutschen garantiert! (Siehe Bild, Zangen und andere brachiale Werkzeuge führen mit etwas Geduld vielleicht doch zum Ziel, ohne das Möbel zu verletzen). Das "Objekt" hat auch oft kein richtiges Gewinde sondern lediglich stumpfe Rillen. Spitze voran wurde die Ankerschraube mit hohem Druck in das Bein geschossen. Und zwar von oben, da die Sitzplatte letztes Bestandteil des Stuhl-Zusammenbaus war (erst zum Schluss wurde das vom Kunden gewünschte Sitzmotiv eingeleimt). Ein späteres Öffnen dieser Schrauben (und natürlich der "Ankerschraube") ist somit ohne neue Schäden und Riesenärger absolut verunmöglicht. Thonet lässt grüssen! Aber nicht nur Thonet, seltener auch Kohn oder die an der Eder gelegene Frankenberger Stuhlfabrik mit dem Logo "Bombenstabil" verwendete in den 20er Jahren diese mistigen "Schrauben"! Angewendet wurden Sie wahrscheinlich, um die eingesetzten Vorderbeine einmal rasch zu fixieren, damit sie nicht ständig rausrutschten beim weiteren Möbelzusammenbau. Ein wirklicher Anspruch auf Stabilität kann die Schraube somit unmöglich besitzen. Interessant: kürzlich habe ich in einem Schraubenkatalog doch tatsächlich die "Ankerschraube" entdeckt....es gibt dich also noch, du dümmliches Stück Eisen!


Die zum flechten konstruierten Sitzrahmen der Thonetstühle (und anderer Konkurrenten) wurden werksmässig mit roher scharfer Innenkante ausgeliefert. Dies konnte schon bald zu Defekten am Geflecht führen. Es riss an der Kante ab. Festzustellen ist dies insbesondere an den Thonetstuhl-Originalen von 1860 bis etwa 1915.
Wahrscheinlich dachte man vor über hundert Jahren noch nicht an die späteren finanziellen Folgen einer Neuflechtung, schliesslich handelt es sich ja richtigerweise um Verbrauchsmaterial, das jederzeit ersetzbar sein kann. Das aus der Rotangpalme (Asien) gewonnene Naturprodukt (Peddigrohr) ermüdet nach etwa 20 – 40 Jahren. Auch Sonneneinwirkung oder Ofenheizungen lassen die Fäden austrocknen, spröde und rissig werden.
Trotzdem sei an dieser Stelle den Bugholzfirmen eine kleine Rüge erteilt. Durch das Brechen besagter Kante wäre die vorprogrammierte Fehlkonstruktion rasch aus dem Wege geräumt, und die Käufer längerfristig zufriedengestellt worden.


Auf welche wundersamen Flecht-Ideen die Menschen kommen können, um sich den Kosten der traditionellen Flecht-Handarbeit zu entziehen, geht ins unermessliche. Wer nicht gleich das berühmte Brett aufnagelt, versucht es zumindest mit Draht, Schnur, Plastikstreifen oder Wäscheleine. Im Bild ein Puppenstuhl mit horizontal-vertikal gespannter Kordel und ein Ausschnitt von einem Thonet Salonfauteuil mit diagonaler Kordelflechtung (von unten fotografiert). Weitere Ansammlungen an solchen Flechtungen würden den Rahmen hier eindeutig sprengen.


Irgendwie hat das Nacht-Schränkchen nicht unter diese Garderobe gepasst – aber zum Glück gibt es ja die Säge! ...und ritsche-ratsche voller Tücke ist im Kleiderstock ´ne Lücke.


Bugholzmöbel bieten dem gemeinen Holzwurm eine gediegene und nahrhafte Wohnstatt. Die kunstvoll abgelegten Wurmgänge unmittelbar unter der Oberfläche und die kreisrunden Löcher im Holz sind sichere Zeichen für einen früheren oder auch einen aktuellen Befall des Möbels mit diesem kleinen Unnützling. Nur sehr selten sieht man Möbel, die vom südeuropäischen Holzmarder befallen sind. Je nach Befallstelle unterscheidet man zwischen Beinmarder, Lehnmarder oder Sitzmarder. Im Bild sehen wir den Zugang zur Höhle des Sitzmarders. Der Sitzmarder ist etwa fingernagelgross und im Allgemeinen für den Menschen ungefährlich. Die Holzmarder leben allein, sind extrem lichtscheu und verlassen nur einmal im Jahr - nämlich am 1. April - für kurze Zeit ihre Behausung zur Paarung.


Da die Holzmarder erfahrungsgemäss grossen Schaden an den Möbeln anrichten, werden die Objekte einmal jährlich gründlich inspiziert. Unser Foto zeigt drei Thonetologen bei der Erfassung eines Marder-Schadensberichts im Magazin des Thonet-Museums in Boppard.


Grössere Beinmarder-Behausungen (etwa für die einmal im Jahr stattfindenden internationalen Treffen) können mit einer Art "Holztüre" getarnt sein (Fachausdruck: Holzmarderklappe). Es handelt sich also nicht etwa um zweitklassik-verwendetes Astholz, denn das wurde bekanntlich bei Bugholzmöbeln nie verwendet.
Im Bild: Vorderbein eines belgischen Stuhl-Produkts namens "Cambier".